Jack Kornfield

Kaum einer hat der buddhistischen Lehre so viel Herz verliehen wie Jack Kornfield. Wir haben mit dem weltbekannten DharmaLehrer gesprochen, der es wie kein anderer versteht, sein Wissen mit großem Mitgefühl, tiefer Weisheit und in stets lebendiger Form weiterzugeben. 

 

FOTOS: Philippe Matsas; Live Talks Los Angeles INTERVIEW: Christiane Wolf

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Christiane Wolf: Du kommst gerade von einem einwöchigen Retreat zurück – man könnte ja glauben, jemand mit deiner Erfahrung hätte Retreats gar nicht mehr nötig …

Jack Kornfield: Retreats sind etwas Wunder – bares und ich kenne keinen Lehrer, der nicht davon profitiert. Der Dalai Lama steht jeden Tag sehr früh auf, um sich seiner Praxis zuzu – wenden, meine eigenen Lehrer nehmen sich ebenfalls Zeit dafür. Wir leben ja in einer sehr schnelllebigen und komplizierten Kultur. Ich persönlich strebe mit meiner Praxis nicht da – nach, einen bestimmten Zustand, ein Ziel oder eine Erfahrungsebene zu erreichen. Meine Praxis soll mir dabei helfen, meinen Körper, mein Herz und meinen Geist für liebevolle Güte und Mitgefühl zu öffnen und im gegen – wärtigen Moment zu bleiben. Dieser Zugang ist immer offen, aber wenn man sich die Zeit für einen Retreat nehmen kann, dann ist das besonders belebend. Jeder klugen Gesellschaft und Kultur ist bewusst, dass es Zeiten gibt, wo es wichtig wird, in die Berge, in den Wald oder in die Wüste zu gehen, um dem Herzen zu lauschen, zur Ruhe zu kommen und den eigenen Platz im Mysterium der Welt zu fin – den oder wiederzufinden und sich so tief wie möglich wiederzuverbinden.

In deinem gerade veröffentlichten Buch sagst du: Was nützt ein klarer Geist, wenn er nicht mit einem einfühlsamen Herzen gepaart ist? Wie erreicht man ein einfühlsames Herz

Nach über 40 Jahren als Lehrer ist eine der wichtigsten Lektionen, die ich gelernt habe: dass Achtsamkeit immer mit liebevoller Güte und Mitgefühl einhergehen muss. Andernfalls verwelkt sie oder ist von uns abgespalten, und das ist nicht gesund. Es wäre keine echte Achtsamkeit – es fühlt sich zwar an wie Achtsamkeit, aber eigentlich entfernen wir uns so vom unmittelbaren Erleben. Mittels Achtsamkeit präsent zu sein, bedeutet, in liebevollem Gewahrsein präsent zu sein. Alles, was wir in dieser rätselhaften menschlichen Inkarnation erleben, in unserem Körper, in unserem Geist, unseren Gefühlen, unseren Beziehungen zueinander, sollte in einem Gewahrsein erlebt werden, das zugleich gütig und liebevoll ist. Ohne dies beginnen wir ganz schnell zu werten, wenn auch sehr subtil. Wir wünschen uns, die Dinge wären anders, haben das Gefühl, was wir empfinden, sei nicht richtig oder nicht so, wie es sein sollte. Für viele Menschen ist es sehr schwer, die Liebe zu sich selbst zu entdecken. Darum ist es wichtig, unsere Aufmerksamkeit von Anfang an mit Güte zu paaren. Dadurch können wir nicht nur sehr viel klarer sehen, es ist auch eine Einladung an unseren Körper, sich zu entspannen und zu öffnen, eine Einladung, die allen Dimensionen des Geistes, allen Annehmlichkeiten und Schmerzen, Freuden und Leiden erlaubt, sichtbar zu werden. Durch liebevolle Bewusstheit entstehen ein tieferes Verständnis, Freiheit und Mitgefühl ganz von selbst. Das Schöne daran ist, dass man das trainieren kann. Wir Menschen können lernen, wie das geht. Das ist eines der größten Geschenke unseres Lebens.

Wie schön, danke! Warum ist es deiner Ansicht nach so schwierig, etwas vermeintlich so Einfaches zu tun, wie im gegenwärtigen Augenblick zu sein, vor allem dann, wenn es uns nicht gut geht, wenn wir Angst haben oder verzweifelt sind?

Jede menschliche Inkarnation birgt sowohl unsagbare Schönheit als auch ein Meer aus Tränen. Wir alle bestaunen das großartige Mysterium des Lebens in jedem Frühling, in dem erstaunlichen Erblühen dieser Erde und finden unseren Platz darin, wenn wir nur unsere Augen dafür öffnen. Doch die menschliche Inkarnation birgt auch Verlust, Verblendung und Angst. Jeder von uns trägt ein gewisses Maß an Leid und Freude, an Wohlgefühl und Schmerz, an Gewinn und Verlust, Ruhm und Erfolglosigkeit in sich – all das kommt und geht in einem Menschenleben, so wie der Wind sich dreht und die Jahreszeiten sich wandeln. Wenn wir meditieren, wird uns all dies bewusst. Und wenn wir unsere Einsamkeit und Angst unter Verschluss halten, unerledigte Angelegenheiten oder Leid im Herzen tragen, dann spüren wir das als Spannung im Körper, sobald wir zur Ruhe kommen, als überwältigende Gefühle, Angst und Verwirrung. Eines der größten Geschenke, die Meditation und Gewahrsein uns lehren können, tragen wir bereits in uns: Wir können lernen, für all diese Dinge offen zu sein, ihnen mit einem weiten Herzen voller Mitgefühl und Güte zu begegnen. Es geht nicht darum, Angst, Verwirrung oder Wertung loszuwerden oder sich ständig zu sagen: „Ich will nicht wertend sein, ich hasse meine Angewohnheit, alles zu bewerten.” Das ist ja noch mehr Bewertung. Stattdessen lege innerlich die Hände in einer Geste des Respekts aneinander, verneige dich und sage: „Das ist der urteilende Geist”

Wie können wir bei all den Problemen heutzutage und in einer Zeit, in der die Dinge sich so rasant entwickeln, unser Gleichgewicht, unsere innere Freiheit im Alltag finden?

Immer da, wo wir gerade sind! Andernfalls wäre Freiheit nur eine Fantasie. Wir sollten begreifen, dass die Freiheit des menschlichen Herzens nicht von äußeren Umständen abhängt. Als Nelson Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis auf Robben Island trat und dabei so viel Güte und Großherzigkeit, Mitgefühl und Vergebung ausstrahlte, veränderte er damit nicht nur Südafrika, sondern die Vorstellungskraft der ganzen Welt. Man kann vielleicht deinen Körper ins Gefängnis stecken, aber niemand kann deine Seele einsperren. Eines der größten Geschenke der Meditationspraxis ist, dass wir während wir lernen, mit unserer Verwirrung und Angst, Sehnsucht und Hoffnung, Liebe und Lust und den guten Absichten zu sitzen, zugleich lernen, in all diesen Dinge präsent zu sein. Und drumherum ist liebevolles Gewahrsein, das sagt Ja, das ist unsere Menschlichkeit. Wenn wir das schaffen, verlieren wir uns nicht mehr so leicht in Drama oder Emotionen. Wir können beobachten und sehen: „Oh, damit habe ich gerade zu kämpfen, hier steigt Angst auf.“ Das sind äußere Umstände, finanzielle Nöte, Konflikte in Beziehungen, gesellschaftliche Sorgen. Wir wollen nicht, dass Ängste unser Herz kolonisieren. Wir wollen nicht, dass uns Angst beherrscht. Stattdessen können wir uns unserem Herzen zuwenden und erkennen, dass wir – egal, wie die Umstände gerade sein mögen – jederzeit ein paarmal tief durchatmen, die Weite des Himmels betrachten, die Füße auf die Erde stellen und uns selbst und all unsere Erfahrungen in liebevollem Gewahrsein halten und sagen können: „Ja, all das kann Heimat sein“ – mit Verständnis und Mitgefühl. So finden wir Freiheit. All das kann man ganz wunderbar durch Meditation lernen. Im Magazin Scientific American las ich, dass Albert Einstein einmal gesagt hat: „Wenn du sicher Autofahren kannst, während du ein Mädchen küsst, dann schenkst du dem Kuss einfach nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient.“ In einem Leben voller Multitasking verlieren wir den Kontakt zu unserer Fähigkeit, voll und ganz präsent zu sein, die Augen unseres Gegenübers wahrzunehmen oder die Pflanzen am Wegesrand. Es ist schwer, sich diese Präsenz über den Tag hinweg zu bewahren. Wenn es uns jedoch gelingt, dann erkennen wir, dass die große Freiheit nicht in den äußeren Umständen zu finden ist. All diese Dinge sind wichtig und wir müssen uns ihnen und den Menschen um uns herum so gut es geht widmen. Manchmal ist das leicht, manchmal aber auch sehr schwierig. Die große Freiheit besteht darin, zu wissen, dass wir im Geiste und im Herzen frei sind, frei zu lieben, frei, alles voller Mitgefühl zu betrachten, frei, in jeder Situation unser Bestes zu geben.

 

Wie kann man das übertragen? Es ist ja schön und gut, zu meditieren und zu lernen, den eigenen Herausforderungen friedlich zu begegnen, aber es gibt eine Menge Ungerechtigkeit und viele Probleme in der Welt. Wie können wir sichergehen, dass wir uns davor nicht in der Meditation verstecken, sie nicht als Vorwand benutzen?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Achtsamkeit wird oft missverstanden. Im Sanskrit ist Achtsamkeit ein zusammengesetztes Wort, Satipatthana. Der erste Teil bedeutet achtsame Präsenz oder liebevolle Aufmerksamkeit, aber der zweite Teil des Wortes bedeutet so viel wie achtsame Reaktion. Um der Ungerechtigkeit in der Welt zu begegnen und sie aus Mitgefühl und einem guten Herzen heraus zu beheben, sind zwei Schritte nötig: Als Erstes gilt es, den Geist zu beruhigen und die Herzensqualitäten zu kultivieren, damit wir aus Klarheit, Liebe, Mut und Mitgefühl heraus handeln können. Denn das sind die Dinge, die die Welt braucht. Handeln wir aus Angst, Verwirrung oder Zorn, werden wir, auch wenn wir es noch so gut meinen, nur noch mehr Leiden erzeugen. Im Zen heißt es, es gebe nur zwei Dinge: Du sitzt und du fegst den Garten und es ist egal, wie groß der Garten ist. Wenn du also erst einmal deinen Geist beruhigt und dich deinem Herzen zugewandt hast, ist das wie ein Einatmen. Der nächste Schritt, das Ausatmen, ist eine achtsame Reaktion. Wenn du dich von deinem Sitzplatz erhebst, zentriert und anteilnehmend, dann wirst du ein Kind, das fällt, auffangen, wirst dafür sorgen, dass der Hungrige etwas zu essen bekommt. Wenn die Ungerechtigkeit der Welt für dich sichtbar wird, dann wirst du die Hand ausstrecken und berühren und heilen, was du heilen kannst. Keiner von uns kann die ganze Welt heilen. Das wäre Ego und Hybris. Aber wir können unser Herz öffnen, so dass wir die Welt mit Mitgefühl und Fürsorge behandeln. Und dann strecken wir die Hände aus und machen unsere Herzen weit, um zu berühren, zu heilen und zu inspirieren, bei unserer Arbeit, in der Familie, in unserer Gemeinschaft – wir kümmern uns um die, die verletzlich sind, und stehen für das ein, was richtig ist. Mein Kollege, Wes Nisker, hat vor einigen Jahren einen der größten amerikanischen Umweltschützer interviewt, Gary Schneider. Gary hat den Pulitzer-Preis gewonnen und schreibt seit 50 Jahren über Ökologie und Umweltschutz. Wes hat Gary, der inzwischen über 80 ist, gefragt, was er in Zeiten der globalen Erwärmung, steigender Meeresspiegel, aussterbenden Spezies und der Gefahr des Klimawandels zu sagen hätte. Und Gary sah ihn an und sagte: „Man darf sich nicht schuldig fühlen. Wenn man aus Schuldgefühl oder Zorn oder Angst heraus handelt, vergrößert man das Problem nur. Wenn du die Welt retten willst, dann tu es, weil du sie liebst.“ Diese Liebe in uns, die uns mit allem verbindet, ist die einzig wahre, die einzige große Macht, die dem Leiden in der Welt begegnen kann, die Mütter dazu befähigt, komplette Autos von ihren Kindern zu heben. Sie macht es möglich, dass Menschen mutig durch alle möglichen Schwierigkeiten gehen. Wir Menschen sind Überlebenskünstler und wir blicken auf tausende Generationen von Ahnen zurück, die uns bei jedem unserer Schritte, bei jedem Atemzug unterstützen. Wir können den Schritt machen: uns von unserem Sitzplatz erheben, die Augen klar, das Herz mutig und mitfühlend, und den Garten der Welt fegen. Das ist Praxis in ihrer tiefsten und schönsten Form

Du sagst, dem lebendigen Universum, dem großen Ganzen zu vertrauen, sei „weises Vertrauen“. Was meinst du mit weisem Vertrauen?

Die alten Meister bezeichneten das Vertrauen als eine der Eigenschaften des erleuchteten Herzens und Geistes. Es ist ein Vertrauen in die Erneuerung des Lebens. Wie der große Dichter Pablo Neruda sagt: „Du kannst alle Blumen pflücken, aber du kannst den Frühling nicht aufhalten.“ In dir steckt Lebenskraft – in mir, in jedem von uns wirkt dieselbe Lebenskraft, die unaufhaltsam junge Pflanzentriebe durch Asphalt und Stein treibt. Und auch im menschlichen Herzen ist etwas, das sich erneuern möchte. Es ist nie zu spät, neu zu beginnen. Weises Vertrauen heißt: Wir vertrauen, dass das Leben sich erneuert, und wir können die Samen des Lebens in unseren Herzen und in der Gemeinschaft wässern, auch wenn wir wissen, dass uns Schwierigkeiten nicht erspart bleiben. Es wird Menschen geben, die die Saat des Hasses aussäen und nähren, die Leiden erzeugen. Sie sind, wer sie sind, doch wir können sie mit Verständnis und Mitgefühl betrachten. Und zugleich wissen wir, dass diese Schwierigkeiten und Taten nicht das Ende der Geschichte sind. Wir können die Saat der Schönheit nähren und wässern und sowohl allein als auch kollektiv die Welt verändern. Auch in schweren Zeiten vertrauen zu können, ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Herzens. Es hilft uns, durchzuhalten, es inspiriert uns. Die Wahrheit ist, dass wir rätselhafte Wesen sind, die aus Bewusstsein geschaffen sind, das ins Leben auf dieser Erde gebracht wurde und mit allem, was atmet und sich bewegt, verbunden ist. Das vergessen wir oft und dann fühlen wir uns getrennt und dieses Gefühl erzeugt großes Leiden. Es kann in unserem primitiven Gehirn leicht Ängste aktivieren. Die moderne Politik spielt die ganze Zeit damit. Aber das ist nicht, wer wir sind. Wir sind Wesen mit Würde und Edelmut (nobility), jedes Kind wird damit geboren. Wir sind mit allem Leben verbunden. Die Getrenntheit ist eine Illusion. Wir müssen sie akzeptieren und uns den Einzelheiten unseres Lebens widmen. Aber wir müssen ebenso hinausgehen und die ungeheure Weite der Sterne in einer klaren dunklen Nacht betrachten. Wir müssen zwischen den Bäumen wandeln, am Ozean entlang und in den Bergen, um zu spüren, dass wir Teil von etwas sind, das sich durch uns wieder und wieder erneuert. Und wir müssen darauf vertrauen, dass wir Schönheit und Leben in diese Welt bringen können.

Albert Einstein soll angeblich gesagt haben, dass die wichtigste Entscheidung unseres Lebens die ist, ob wir in einem feindlichen oder in einem wohlwollenden Universum leben. Das ist ja eigentlich eine dualistische Betrachtung. Wie siehst du das?

Nun ja, später hat er dann geschrieben, er glaube, das Universum sei wohlwollend und dass die Erkenntnis dieser Wahrheit uns befähige, die Welt mit all ihren Schwierigkeiten, Ängsten, dem Hass, dem Rassismus, ihrer Verblendung, aber auch ihrer Schönheit wahrzunehmen. Wir können uns in dem Wissen in dieser Welt bewegen, dass wir das Gute nähren und zum Vorschein bringen können. Zweifelsohne kann uns keine Technik im Außen retten. Keine Nanotechnologie, Weltraumtechnik, keine Computer oder das Internet und keine der anderen außergewöhnlichen wissenschaftlichen Errungenschaften, die wir besitzen, wird jemals Krieg, Rassismus und Tribalismus oder Umweltzerstörung aufhalten können. Die Entwicklungen unserer Zeit sind beeindruckend, wir tragen die große Bibliothek von Alexandria, die größten je geschriebenen Opern und noch viel banalere Dinge quasi in der Westentasche mit uns herum. Aber die technologischen Wunder machen nur die Hälfte unserer menschlichen Entwicklung aus. Die andere Hälfte, die weltweit einen großen Entwicklungsbedarf hat, ist das menschliche Bewusstsein. In diesem Bereich gilt es ebenfalls Fortschritte zu machen, um zu begreifen, dass wir alle gegenseitig voneinander abhängig sind und in Weisheit, Mitgefühl und Fürsorge miteinander leben können. Um uns selbst, unsere Familien, unsere Biosphäre und unser Leben mit den Augen und dem Herzen der Weisheit und der Liebe zu sehen. Und wenn das menschliche Herz auf diese Weise wächst, dann werden auch die Dinge, die wir im Außen bewirken, zu einem Quell des Wohlwollens und des Guten. Es gibt eine allgemeine Richtung für die Evolution des Bewusstseins. Eines meiner Lieblingsbücher stammt von Steven Pinker und heißt „The Better Angels of Our Nature“. Pinker ist Professor für Geschichte, Anthropologie und Politikwissenschaften in Harvard. Er legt dar, dass es trotz all der Kriege und Hungersnöte und von Menschen verursachtem Leiden im Laufe der vergangenen paar Jahrhunderte immer weniger Kriege gegeben und sich die Situation für viele Frauen auf der ganzen Welt mit jedem Jahrzehnt verbessert hat. Im Allgemeinen gibt es nicht mehr so viel Sklaverei und man ist sich auf internationaler Ebene einig, dass Sklaverei falsch ist. Wir haben Kinderarbeit und die skrupellose Ausbeutung von Kindern zu einem großen Teil abschaffen können. Und auch wenn es noch viel zu tun gibt und immer noch Menschen versklavt, Kinder misshandelt und schreckliche Kriege geführt werden: Die Menschheit lernt.

Eine deiner Meditationslehrerinnen war Dipa Ma, die in Deutschland leider nicht so bekannt ist. In dieser Ausgabe stellen wir sie mit einem Porträt vor. Was hat dich, wenn du dich an sie erinnerst, am meisten beeindruckt? Gab es vielleicht eine inspirierende Begegnung, die du mit uns teilen möchtest?

Dipa Ma gehörte zu den größten Meditationsmeisterinnen der Tradition, in der ich in Burma, Thailand und Indien ausgebildet wurde. Ich hatte damals bereits seit zehn Jahren selbst unterrichtet und war auf ein paar Schwierigkeiten gestoßen, die ich mit ihr besprechen wollte. Nach zahlreichen Retreats fühlte ich mich manchmal erschöpft und überfordert. Sie gab mir wundervolle Ratschläge, eine Menge Inspiration und riet mir, weniger Retreats anzuleiten und mich stattdessen mehr auf meine eigene Meditationspraxis zu konzentrieren. Auch sollte ich aufrichtiger und fürsorglicher mit mir selbst umgehen, damit ich besser für die anderen da sein konnte. Ich erinnere mich an einen Besuch bei ihr in Kalkutta, bei dem sie mich einige Tage unterrichtet hatte. Es war ein sehr heißer Sommer. Als ich ging, sagte sie zu mir: „Ich möchte dich segnen.“ Sie war so klein und sie umarmte mich auf diese wunderbare bengalische Art. Dann begann sie MettaGebete der liebenden Güte zu sprechen und tätschelte dabei meinen ganzen Körper. Das machte sie gute zehn Minuten lang und flüsterte dabei die ganze Zeit Gebete. In meinem Gesicht breitete sich währenddessen ein Lächeln aus, das immer breiter wurde, und auch ich selbst begann zu strahlen und fühlte mich immer glücklicher. Am Ende verbeugte ich mich und sagte Auf Wiedersehen, ging hinaus und versuchte, auf den drückend heißen Straßen Kalkuttas ein Taxi zu finden. Damals, Mitte der Achtziger bestand der Verkehr hauptsächlich aus Ochsenkarren, Kühen und hupenden Autos. In drückender Hitze fuhr ich in einem Taxi ohne Klimaanlage zum Flughafen „Dum Dum“, wo ich auf einen stark verspäteten Flug wartete. Es gab keine Klimaanlage und es waren Menschenmengen um mich. Schließlich stand mein Flug nach Bangkok an und ich stellte mich in eine sehr lange Warteschlange. Dann fuhr ich zwei Stunden mit dem Taxi ins Zentrum von Bangkok … Aber die ganze Zeit über grinste ich, als hätte jemand meinen ganzen Körper mit lauter Licht und Funken und Freude gefüllt. Ich ging sogar schlafen mit diesem Lächeln auf den Lippen und auch in den nächsten drei Tagen ließ dieses Gefühl von Freude und Glückseligkeit nicht mehr nach.

Das ist unglaublich! Danke für diese Erinnerung. Noch ein paar letzte Fragen. Du rätst dazu, „in Vertrauen zu altern“. Wie finden wir Zugang zu diesem Vertrauen, wenn das Alter an unsere Tür klopft? Was hat dich das Altern gelehrt? Und als du vor zwei Jahren noch einmal geheiratet hast: Waren die Leute nicht überrascht?

Altern ist etwas Natürliches, genau wie der Tod. Alle Organismen dieser Erde werden geboren und erfahren das Leben in ihrer jeweiligen Gestalt, um schließlich zu sterben. Wenn wir mit dieser Wahrheit in Harmonie leben, dann schenkt uns das wahren Frieden und Zufriedenheit. Die wichtige Erkenntnis dabei ist, dass wir nicht unser physischer Körper sind. Wenn du in den Spiegel schaust und siehst, wie du älter wirst, dann stell dich dem. Da sind Falten, die Haut beginnt zu hängen, dein Körper verändert seine Form. Interessant ist jedoch, dass wir uns oftmals gar nicht älter fühlen. Das ist ein überraschendes Gefühl. Das liegt daran, dass nur der Körper altert. Das Bewusstsein aber, das diesen Körper im Spiegel betrachtet, befindet sich außerhalb der Zeit. Es ist das zeitlose Bewusstsein. Es ist das Bewusstsein, das in deinen Körper geboren wurde, als er noch winzig klein im Bauch der Mutter ruhte, und das ihn bei seinem Tod wieder verlassen wird. Dieses Bewusstsein – das ist es, was du wirklich bist, du bist liebevolle Bewusstheit. Wenn du Moments for Mindfulness | Im Gespräch mit das verstanden hast, kannst du niemals sterben. Was stirbt, ist der Körper. Das Altern und der Tod sind trotzdem manchmal nicht leicht. Man verliert seine Fähigkeiten, es steigen schwierige Emotionen auf und wir verlieren Menschen, die wir lieben, und müssen am Ende diese ganze Identität loslassen. Aber diese Identität ist ein Tanz, ein Versuch. Wie willst du den Tanz des Alterns gestalten? Er wird einfach geschehen. Du kannst um dich treten und dein Selbstmitleid und deine Angst hinausschreien oder du verstehst, dass es nie zu spät ist, dich für den Wandel der Jahreszeiten und das Spiel des Lebens zu öffnen. Für mich war es eine fantastische Erneuerung, meine geliebte Trudy Goodman zu heiraten, die ich nun schon seit 40 Jahren kenne. Ich hoffe, dass ich für die Liebe nie zu alt sein werde.

Danke. Hast du noch einen weisen Rat für unsere Leser, die sich für diesen Weg und die Praxis interessieren?

Allen, die dieses Interview berührt hat, möchte ich sagen, dass das, was sie suchen, bereits in ihnen steckt. Sie können in einer Gemeinschaft oder einer Gruppe Unterstützung für ihre Meditationspraxis finden. Manchmal ist es nicht so leicht, ganz allein dranzubleiben, weil die Gesellschaft den Wert einer Kultivierung des Herzens nicht genug schätzt. Vertraue dir, vertraue auf dein gutes Herz. Die Tatsache, dass du dieses Magazin liest, sagt etwas über dich aus, nämlich dass etwas in dir weiß, dass man in Dankbarkeit, Anmut, innerer Freiheit und Liebe leben kann. Wässere diese Saat und sorge gut für dich. Finde Übungen und Gemeinschaften, die dich bei dieser Öffnung unterstützen, und es wird dich reicher machen und segnen.

Vielen Dank für deine Zeit und deine wertvollen Worte, Jack.

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